Wir sind DA! - Für Kinder, Jugendliche und Familien - Tirschenreuth
Auf ihrer Jahrespressekonferenz haben die zehn Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e. V. (KJF) eine Bilanz ihrer Arbeit gezogen
Neben den Folgen der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg stand die Öffentlichkeitskampagne der Landesarbeitsgemeinschaft Erziehungsberatung Mittelpunkt. Dadurch sollen Kinder, Jugendliche und Eltern niederschwellig auf die Angebote der Erziehungsberatung aufmerksam werden. Eine Förderung der aufsuchenden Erziehungsberatung durch den Freistaat Bayern führte 2022 zu einer Ausweitung der Angebote im sozialen Raum. "Wir waren auch während der Pandemie durchgehend für die Klienten erreichbar und konnten ihnen Hilfestellungen anbieten – dafür gebührt den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern großer Dank", sagte KJF-Direktor Michael Eibl.
Nach dem langsamen Abflauen der Corona-Pandemie zeigten und zeigen sich nun verstärkt die Folgen bei den am stärksten von den Maßnahmen betroffenen: den Kindern und Jugendlichen. Eine Zunahme schulischer Probleme – entstandene Lernlücken, Klassenwiederholungen, vermehrte soziale Konflikte – und damit verbundener Ängste, Schulvermeidung, Wutausbrüche und familiäre Spannungen, forderten Eltern und Beratungsfachkräfte heraus. Jugendliche, die während des Lockdowns ihr soziales Lernfeld, die Gleichaltrigengruppe, verloren hatten, kämpfen nun verstärkt mit Essstörungen, Hoffnungslosigkeit und Resignation, Ängsten sowie Abhängigkeiten von digitalen Medien, aber auch anderen Suchtmitteln. Sozialverhalten und Lernen muss in Schule und Freundesgruppe erst wieder eingeübt werden, Familien müssen wieder Normalität (er-)leben. Fehlentscheidungen und das Leid während der Pandemie müssen betrachtet und besprochen werden. Der deutsche Ethikrat hat im November 2022 festgestellt: "Es muss sichergestellt werden, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in gesellschaftlichen Krisen nicht wieder als erste die Hauptlast tragen müssen." Er fordert die Politik dazu auf, Beratungsangebote und psychotherapeutische Hilfen durch eine verlässliche Finanzierung zu stärken, mit Infokampagnen das Angebot bekannt zu machen und umfangreiche Freizeitangebote, v.a. für benachteiligte Kinder zu organisieren. "Wir unterstützen diese Forderungen umfassend und einen Teil davon konnten wir im Jahr 2022 tatsächlich angehen und umsetzen", berichten die Beratungsstellenleitungen, Marion Neumann aus Tirschenreuth, Martin Kriekhaus aus Cham und Dr. Hermann Scheuerer-Englisch aus Regensburg.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg in der Ukraine hat viele gravierende Folgen für die Welt, Europa, Deutschland, die Bevölkerung und die Menschen in der Ukraine und die Geflüchteten gebracht. Auch hier konnten die Beratungsstellen mit Informationskampagnen zum Umgang mit Geflüchteten und mit intensiven Gefühlen und belastenden Informationen (siehe Anlagen) schnell helfen. Es sind auch Gruppenangebote für Kinder in Gemeinschaftsunterkünften in manchen Landkreisen, z.B. in Tirschenreuth, entstanden. "Ziel unseres Angebots ist es, den ukrainischen Kindern und Jugendlichen ihr Ankommen in der Oberpfalz zu erleichtern, sie zu stabilisieren und ihnen ein Stück 'heile Welt' für Ihre Entwicklung zu ermöglichen. Trotz der hohen Sprachbarriere und den unterschiedlich traumatisierenden Erfahrungen der Heranwachsenden sind die Angebote wie Tanzen, Malen oder Ausflüge stark nachgefragt. Dieses aufsuchende Angebot kann nicht zuletzt durch die gute Zusammenarbeit mit dem Jugendmigrationsdienst der KJF realisiert werden", berichtet Marion Neumann, Leiterin der Beratungsstelle in Tirschenreuth.
Gestiegene Nachfrage im Jahr 2022 – Beratungsstellen reagierten auf die Krisenfolgen – auch mit flexiblen Angeboten durch Video-, Telefon- und Mail-/Chatberatung
2022 wandten sich 4.960 Familien mit Kindern und Jugendlichen zur persönlichen Beratung an eine der zehn Beratungsstellen der KJF. Das sind insgesamt 10 Prozent mehr Familien als 2021 (4.501 Familien), im Schnitt 46 Familien pro Beratungsstelle.
Die Beratungsstellen haben mit 1.960 (39,5 Prozent) beratenen Jugendlichen und jungen Menschen diese durch Corona besonders belastete Gruppe sehr gut erreicht, gefolgt von der Gruppe sechs- bis elfjährigen Schulkinder mit 1.842 (37,1 Prozent). Ein knappes Viertel der Ratsuchenden waren Eltern von Babys und kleinen Kindern (1.158 Personen; 23,3 Prozent). Die weitere Statistik der Beratungen in 2022 zeigt, dass 35,5 Prozent der vorgestellten Kinder und Jugendlichen bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwuchsen, 43,4 Prozent der jungen Menschen erlebten eine Trennung der Eltern.
"Wie kann man in diesen Tagen überhaupt noch Zuversicht vermitteln, dass schon alles wieder gut wird? Das ist eine herausfordernde Aufgabe, aber die Beratungsstellen haben mit hohem Engagement, digital und in Präsenz, ihr Bestes gegeben. Erschöpfte Eltern und belastete Kinder und Jugendliche wurden verlässlich begleitet. Ihnen wurde Mut zugesprochen, sie waren nicht alleine, wenn die Sorgen des Alltags drückend waren", betont Michael Eibl, der Direktor der KJF Regensburg, in seinem Resümee.
Die Beratungsstellen standen auch das ganze Jahr 2022 für Ratsuchende ohne Einschränkungen offen. Die Beraterinnen und Berater boten trotz der Pandemie weiterhin Beratungen über datengeschützte Videokonferenzen, über Chats und via E-Mail sowie per Telefon an. Insgesamt fanden 16,7 Prozent der Beratungsangebote über Telefon, Video und Chat oder E-Mail statt. Telefonate waren dabei besonders wichtig.
Noch näher an den Familien – weiterer Ausbau der aufsuchenden Angebote der Beratungsstellen
Auf der Grundlage eines 2019 gestarteten Förderprogramms des bayerischen Sozialministeriums wurden auch noch 2022 an allen zehn Beratungsstellen neue Angebote für Familien entwickelt, um außerhalb der Hauptberatungsstellen die Familien vor Ort zu erreichen und abzuholen. Dafür wurden auch 2022 neue Stellen geschaffen, pro Beratungsstelle bis zu einer ganzen Stelle. "Wir sind dem Freistaat, den Kommunen und dem Träger sehr dankbar, dass sie diesen Weg mitgegangen sind und die Beratungsangebote für die Ratsuchenden noch erreichbarer gemacht haben. Das hat sich in der Corona-Zeit und auch jetzt danach als sehr hilfreich erwiesen", betont Dr. Hermann Scheuerer-Englisch, der Leiter der Regensburger Stelle und fachlicher Sprecher der zehn Beratungsstellen. Inzwischen verfügen die zehn Beratungsstellen über insgesamt 18 Außenstellen, sodass die Wege für Familien deutlich kürzer geworden sind. Auch für diejenigen, für die Fahrtzeit oder die Kosten ein Problem darstellen. Weitere Angebote sind Sprechstunden an Schulen, Kindergärten und Familienzentren. „Besonders hilfreich erweisen sich auch Sprechstunden und Kooperationen für psychisch oder körperlich belastete Eltern in Krankenhäusern, etwa der medbo in Cham und Regensburg, dem Krankenhaus St. Josef oder dem Bezirksklinikum in Mainkofen", betont Martin Kriekhaus, der Leiter der Beratungsstelle in Cham.
"Wir sind sehr dankbar, dass das Sozialministerium und die Jugendämter gemeinsam mit uns noch einmal einen Schritt in Richtung Ausbau der 'aufsuchenden Beratung' gegangen sind, um die Folgen der Krisen mit den Familien zu bewältigen", sagt Direktor Michael Eibl und dankt auch den Beraterinnen und Beratern für ihr großes Engagement.
Da! Für Eltern und Da! Für Jugendliche – Eine Öffentlichkeitskampagne zur Arbeit der Beratungsstellen
Hilfen erreichen Betroffene nur, wenn Sie von den Angeboten wissen und die nächstgelegene Beratungsstelle auch finden. Das bayerische Sozialministerium unterstützte deshalb eine Öffentlichkeitskampagne unter dem Motto: „Da für Eltern" und "Da für Jugendliche". Auf den Seiten www.da-fuer-eltern.de und www.da-fuer-jugendliche.de und über Werbung für die Kampagne auf Instagram wurden Eltern und Jugendliche darauf aufmerksam. In den letzten zwei Monaten informierten sich bereits 6.000 interessierte Menschen über die Beratungsangebote. Eltern und Jugendliche finden auf den Seiten Videoclips und Beispiele zu den häufigsten Themen, die Anlass für eine Beratung sind.
Dr. Hermann Scheuerer-Englisch leitete eine bayernweite Arbeitsgruppe, die die Inhalte erarbeitet hatte, und die Agentur bei der Umsetzung beraten hat. Die Themen lauten bei den Jugendlichen: "Kein Plan", "Ich mag mich nicht", "Keine*r versteht mich", "Hab' was abbekommen", "Hat alles keinen Sinn mehr" und bei den Eltern: "Mein Baby schreit dauernd", "Schule? Ein Alptraum für mein Kind!", "Mein Kind ist nur noch am Computer", "Es geht nicht mehr miteinander", "Alles nur noch zu viel ..." „Es ging uns bei den Clips darum, die Probleme realistisch zu beschreiben und nicht zu bagatellisieren, aber dennoch Mut zu machen, sich anzuvertrauen und neue Wege zu finden", berichtet Dr. Scheuerer-Englisch. Eine sehr effektive Beratungsstellensuche informiert über die nächstgelegenen Beratungsangebote. Auf den Seiten finden sich Presseunterlagen und Multiplikatoren können die Seiten vernetzen, um das Beratungsangebot noch bekannter zu machen.
"Pryvit" heißt "Hallo"
Ein aufsuchendes Angebot für Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Tirschenreuth August 2022 – seit der russischen Invasion in der Ukraine registrierte das Statistische Bundesamt 952.000 Zuzüge von Ukrainerinnen und Ukrainern, 37 Prozent von ihnen sind minderjährig. Auch im Landkreis Tirschenreuth leben aktuell 940 geflüchtete Menschen aus diesem Kriegsgebiet. Für einen Teil von ihnen wurde das ehemalige Kloster in Fockenfeld als Notunterkunft bereitgestellt. Das ehemalige Priesterseminar wird aktuell von 95 Ukrainerinnen und Ukrainern (davon 22 Minderjährige) bewohnt. Vor Ort betreibt das BRK Tirschenreuth mit der Unterstützung von Ehrenamtlichen die Einrichtung. Der Standort der Notunterkunft bietet jedoch besonders den jungen Geflüchteten wenige Möglichkeiten der entwicklungsgerechten Freizeitgestaltung und der Kontaktaufnahme zur einheimischen Bevölkerung.
Der Ursprung unseres "Ukraine-Projektes" lag in der Anfrage einer Sozialpädagogin des BRK, die sich um die soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sorgte und die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in Tirschenreuth um eine Kooperation bat. Schnellstmöglich bemühte sich das Team der Beratungsstelle um Kontakt zum Notunterkunftsleiter, einer Migrationsberaterin der Caritas, den Sicherheitskräften in Fockenfeld sowie dem Integrationslotsen des Landkreises, um ein mögliches Angebot zu koordinieren.
Dieses "aufsuchende" Projekt profitierte sehr von dem seit Juli 2022 integrierten Jugendmigrationsdienst der KJF. Die neue Kollegin Frau Felicitas Lindner arbeitet hälftig für diesen Dienst und konnte somit schnell die genannten Netzwerkpartner mit ins Boot holen. Trotz der hohen Altersmischung, der Sprachbarriere und der unterschiedlich schwer traumatisierten Kinder und Jugendlichen gelang es rasch, ein regelmäßiges Angebot in der Notunterkunft zu etablieren.
Tanzen, Malen, Spielen, Bowling, Minigolfen, Ausflüge in die kleineren Städte der Umgebung, Grillen – bei allen Aktionen hatten die Beraterinnen und Berater das Ziel, den Kindern und Jugendlichen das Ankommen in der Oberpfalz zu erleichtern, sie in ihrer Ausnahmesituation zu stabilisieren und letztlich ein Stück „heile Welt" über Spiel und Lebensfreude erleben zu lassen.
Die Kolleginnen und Kollegen berichteten von vielen schönen Erlebnissen: die Gruppe der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen blieb relativ konstant, die Kinder sandten "Dankeschön-Botschaften" per Google-Übersetzer und selbstgemalte Bilder, Eltern kamen dazu und halfen bei der Durchführung der Aktionen. Nach den Sommerferien wird das Angebot weitergeführt. Die Suche nach einer Übersetzerin oder einem Übersetzer bleibt weiterhin eine große Herausforderung.
Text: Dr. Hermann Scheuerer-Englisch/Corinna Scharnagl/Marion Neumann